Digitale-Versorgung-Gesetz, Patientendaten-Schutz-Gesetz. Vor allem bei Ärzten und Kliniken wurde 2020 fleißig digitalisiert – doch wo bleibt die Pflege bei alledem? Eine spannende Frage für Anett Hüssen, Jan Brönneke, Thomas Ballast, Nicole Westig und Tino Sorge. Beim Deutschen Pflegetag diskutierten sie, was Kostenträger und Politik jetzt tun müssen, um die Pflege mit digitalen Mitteln zu entlasten.
Informieren, unterstützen, vernetzen
Den Auftakt machte Thomas Ballast, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der TK. Er präsentierte drei Stellschrauben der Pflegekassen, um Pflege digitaler zu gestalten. Erstens: Transparenz. Die Pflegekasse könne und müsse hierzu einen Beitrag leisten, indem sie ihren Versicherten entsprechende Informations- und Beratungsangebote bereitstellt. Am besten online, damit die Betroffenen jederzeit und überall darauf zugreifen können. Wie zum Beispiel mit der App TK-PflegeKompakt. Entscheidend sei dabei laut Ballast, dass die Angebote aus der Nutzerperspektive entwickelt werden. Nur so könnten echte Bedarfe erkannt und gedeckt werden.
Darüber hinaus benötigen Pflegende auch konkrete digitale Unterstützung. Nicht erst seit der Corona-Pandemie werden Kurse gerne online absolviert, wie der TK-PflegeCoach zeigt. Und schließlich sei es auch Aufgabe der Pflegekassen, die Versorgung noch stärker zu vernetzen, so Ballast, ob durch telemedizinische Angebote oder kooperative Betreuungsnetzwerke.
Digitalisierung ist kein Selbstzweck
Für Jan Brönneke und seine Kollegen vom health innovation hub (hih) steht an erster Stelle, dass Digitalisierung kein Selbstzweck ist. Dass viele Pflegende die Potenziale digitaler Angebote noch nicht erkannt haben, ist laut Brönneke allerdings nur ein Grund, weshalb sie nicht flächendeckend genutzt werden. Hinzu kämen technische Silos, Sektorengrenzen und fehlende Strukturen. Modellprojekte seien prinzipiell ein guter Ansatz, aber eben oft regional verortet und kassengebunden. Brönneke sieht den Gesetzgeber in der Pflicht, entsprechende Änderungen im SGB XI vorzunehmen, die den Einsatz digitaler Pflegelösungen ankurbeln. Denn:
Digitale Produkte können keine Stützstrümpfe anziehen. Aber sie können eine wahnsinnige Unterstützung für Pflegebedürftige sein und pflegenden Angehörigen bei der Organisation helfen.
Echte Hilfe im Pflegealltag
Für den „Realitäts-Check“ sorgte Anett Hüssen, Geschäftsführerin der Hauskrankenpflege Dietmar Depner. Mit ihrem über 200-köpfigen Team lebt sie schon heute den digitalen Pflegealltag. Von der Dienst- und Tourenplanung über die interne Kommunikation bis hin zur Pflegedokumentation läuft bei Hüssen (fast) alles digital. Ihr Ansatz: „Wir digitalisieren, weil das effizient ist. In der Pflege gibt es Informationen, die am besten zeitgleich bei mehreren Menschen vorliegen. Sie müssen transparent und klar dokumentiert sein, falls mal jemand ausfällt.“ Das entlastet ihre Pflegekräfte spürbar und wird gerne angenommen.
Pflege ist der Politik voraus
Sichtlich beindruckt von diesem Bericht aus der Praxis zeigte sich Nicole Westig. Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP räumte ein: „Ich glaube, die Menschen in der Pflege sind generell schon weiter als die Politik. Jetzt müssen wir nachziehen.“ Statt vieler kleiner Einzellösungen fordert sie eine nationale Strategie für die Pflege in Deutschland.
Dabei dürfe auch nicht außer Acht gelassen werden, dass der Großteil der Pflegebedürftigen zuhause und von Angehörigen versorgt wird. Hier sei es wichtig, das „digitale Potenzial“ zu nutzen, um die Selbstständigkeit in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Dafür müsse der Leistungskatalog der Pflegeversicherungen entsprechend erweitert werden, so Westig.
Datenschutz verlangsamt Fortschritt
Auch Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU, ärgerte sich, dass die Politik noch nicht so weit ist, wie sie sein könnte. Oft würden Datenschutzbedenken notwendige und sinnvolle Lösungen verbauen. Er plädierte dafür, pragmatisch zwischen Sicherheit und Nutzen abzuwägen, um gute Angebote schnell in die Regelversorgung zu überführen. Aufgabe der Politik sei es, Standards zu definieren, aber innerhalb derer das System für Innovationen zu öffnen.
Wichtig ist Sorge zudem, die Pflege noch stärker mitzudenken bei neuen Strukturen, etwa der elektronischen Patientenakte. Und Westig ergänzte, dass die Politik nicht nur Rahmen und Prozesse für eine digitale Pflege schaffen müsse, sondern auch die Digitalkompetenzen der Nutzer fördern sollte. Nur so ließe sich „eine Brücke bauen zwischen der digitalen und der analogen Welt.“