Immer mehr Menschen benötigen eine stetig komplexer werdende Pflege. Das macht Themen wie die langfristige Finanzierung von Pflege oder die Unterstützung von Gepflegten und Pflegenden zu zentralen Zukunftsfragen. Ein Gespräch darüber, wie sich die Kosten fairer verteilen lassen und warum uns gute Pflege mehr wert sein muss.
Zum Ende der auslaufenden Legislaturperiode hat der Bundestag das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) verabschiedet. Wie schätzen Sie die darin enthaltenen Regelungen zur Pflege ein?
Eine Pflegereform ist schon seit Jahren überfällig. Daher begrüßt es die TK natürlich, dass die Koalition dieses Thema noch vor Ablauf der Legislaturperiode angegangen ist. Es fehlen aber grundlegende Aspekte, damit aus dem „Reförmchen“ eine echte Pflegereform wird. Neue digitale Angebote wie das ursprünglich vorgesehene Informationsportal zu Angeboten für Pflege- und Betreuungsleistungen wären ein echter Fortschritt gewesen. Vor allem aber mangelt es an einem nachhaltigen Finanzierungskonzept, um den steigenden Mittelbedarf zu decken und die Kosten fair zu verteilen.
Wo sehen Sie den dringendsten Nachholbedarf in Sachen Finanzierungskonzept?
Zunächst schätzen wir es als absolut wichtig und richtig ein, dass Pflegekräfte künftig besser bezahlt und Pflegebedürftige bei den stationären Eigenanteilen entlastet werden sollen. Der geplante Steuerzuschuss von einer Milliarde Euro und eine Beitragserhöhung für Kinderlose um 0,1 Prozentpunkte bei der sozialen Pflegeversicherung reichen zur Gegenfinanzierung der Mehrkosten jedoch längst nicht aus.
Die Bundesländer müssen endlich ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen und sich an den Investitionskosten verbindlich beteiligen. Zudem fehlt im GVWG die ursprünglich angedachte Übernahme der Beiträge pflegender Angehöriger für die Rentenversicherung. Als pflegeversicherungsfremde Leistung sollte diese durch Bundesmittel refinanziert werden. Und auch die private Pflegeversicherung sollte sich endlich solidarisch zeigen und am gemeinsamen Finanzausgleich mit der sozialen Pflegeversicherung beteiligen, um nur drei Aspekte zu nennen, die für eine umfassende Pflegereform dringend geregelt werden müssen.
Was fordert die TK darüber hinaus von der künftigen Regierung in Sachen Pflege?
Immer mehr Menschen benötigen immer komplexere Pflege. Daher ist es nur logisch, dass auch professionelle Pflegekräfte und pflegende Angehörige mehr Unterstützung brauchen, um den zunehmenden Herausforderungen gewachsen zu sein.
Wir als TK fordern daher gezielte Maßnahmen, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Dazu zählen eine höhere Vergütung und eine größere Lohnspreizung, die die Anreize zur Weiterbildung erhöht und die Qualität der pflegerischen Versorgung stärkt. Neue Karrierepfade und Aufgabenfelder können die berufliche Laufbahn in der Pflege für Neueinsteiger interessanter machen. Aber auch für „Rückkehrer“ und ältere Pflegekräfte muss es attraktive Angebote geben, damit sie nach einer beruflichen Auszeit oder Beschäftigungen jenseits der Pflege wieder in die Branche einsteigen beziehungsweise lange im Beruf bleiben können.
Die „Konzertierte Aktion Pflege“ hat schon viele gute Ansätze geliefert, um die Bedingungen in der Pflege zu verbessern. Das funktioniert jedoch nur, wenn alle Beteiligten weiterhin gemeinsam handeln – die Tarifpartner, die soziale Pflegeversicherung und die Politik auf Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen.
Das Gesundheitssystem hat im Pandemiejahr bei der digitalen Transformation große Fortschritte gemacht. Die Chancen der Digitalisierung müssen auch in der Pflege konsequent genutzt werden. Was ist dafür genau nötig?
Eine Pflegesituation ist immer herausfordernd. Das ganze „Drumherum“, also langwierige, bürokratische Prozesse und die Suche nach Informationen erschweren den Alltag zusätzlich. Dabei haben die letzten anderthalb Jahre gezeigt, dass es auch anders gehen kann. Unter Pandemiebedingungen musste notgedrungen vieles auf digitalem Weg geregelt werden – und funktionierte schneller und einfacher als zuvor.
Die TK setzt große Hoffnung in die vielen Chancen, die eine patienten- und zukunftsorientierte Digitalisierung sowie eine damit einhergehende stärkere Vernetzung für Pflegende und Gepflegte bieten, und fordert, diese konsequent zu nutzen.
Dazu braucht es aber politische Anstöße, etwa um den Leistungskatalog der Pflegeversicherung weiter zu digitalisieren. Ein wichtiger Schritt war, dass das Pflegehilfsmittel-Verzeichnis für digitale Angebote wie technische Assistenz und Überwachungssysteme geöffnet wurde. Davon gilt es nun Gebrauch zu machen. Auch die neuen Zulassungsmöglichkeiten für digitale Pflegeanwendungen (DiPA) müssen jetzt konsequent genutzt und weiterentwickelt werden. Je mehr Aufgaben Pflegenden und Pflegebedürftigen technisch abgenommen werden können, desto mehr Zeit bleibt für den menschlichen Kontakt.