Johanna Küther

„Lebenskompetenz als Werkzeugkoffer“

IPSY, das steht für ‚Information + Psychosoziale Kompetenzen = Schutz‘. Seit 2018 unterstützt die TK das Präventionsprogramm bundesweit. Entwicklerin Prof. Karina Weichold von der Universität Jena erklärt das Konzept und warum das Programm für Kinder und Jugendliche gerade jetzt so wichtig ist.

Prof. Karina Weichold betreut gemeinsam mit ihrem Team die Umsetzung, Weiterentwicklung und Evaluierung. Foto: Friedrich-Schiller-Universität Jena

IPSY ist ein so genanntes Lebenskompetenzprogramm, was bedeutet das?

Lebenskompetenzförderung ist ein Konzept der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die zugrundeliegende Idee ist es, Kinder und Jugendliche in die Lage zu versetzen, mit alterstypischen Herausforderungen des täglichen Lebens umgehen zu können. Auf dem Weg ins Erwachsenenalter müssen Kinder lernen, starke Gefühle und Stress zu meistern, Probleme zu lösen und sichere Entscheidungen zu treffen genau wie kritisch zu denken und soziale Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Das ist ein weltweit verbreiteter Ansatz, bei dem ganze Gruppen, unabhängig von individuellen Grundvoraussetzungen, geschult werden. Einige Programme thematisieren zum Beispiel Ernährung, Medienkonsum oder sexualisierte Gewalt, IPSY widmet sich dem Schwerpunkt Substanzkonsum – etwa von Alkohol und Drogen.

Was beinhaltet das IPSY-Programm?

Prävention muss langfristig angelegt sein, deshalb erstreckt sich das Programm über einen Zeitraum von drei Jahren in den Klassenstufen 5 bis 7. Im ersten Schritt wird ein Basisprogramm, zum Beispiel im Rahmen einer Projektwoche, durchgeführt. Die Einheiten sind interaktiv angelegt und können Rollenspiele, Entspannungsübungen sowie Reflektions- und Diskussionsrunden beinhalten. Kommunikation ist eine dieser Einheiten. Die Kinder und Jugendlichen lernen hierbei spielerisch anhand von Bildern und Zeitungsartikeln non-verbale und verbale Kommunikation zu entschlüsseln oder auch, dass der Ton die Musik macht. In den Aufbausitzungen der nächsten Schuljahre werden diese elementaren Kompetenzen dann auf spezifische Themenkomplexe, in unserem Fall den Substanzkonsum, angewendet. Hier kann eine Fragestellung lauten: Wie kann ich reagieren, wenn mich ein Freund ermutigt, die Hausbar der Eltern zu leeren?

Welchen Einfluss hat IPSY auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen?

In der Schule schauen wir ja oftmals auf Fehler, im Präventionsprogramm fördern wir hingegen Ressourcen, es wird viel ausprobiert und mit Lob gearbeitet. Das ermöglicht einen ganz anderen Zugang zu Schülerinnen und Schülern und verbessert nachweislich die Beziehung zu den Lehrenden. Außerdem stärkt diese Arbeit den Klassenzusammenhalt. Viele Kinder berichten, mehr Spaß in der Schule zu haben, sich angstfreier zu melden und besser lernen zu können. Schlüssel ist auch, dass das Programm Kinder und Jugendliche miteinbezieht, denn nur so können langfristige Erfolge im Bereich Suchtprävention erzielt werden. Unsere langjährige Evaluationsstudie zeigt auch, dass Teilnehmende des IPSY-Programms eine stärkere Bindung an die Schule haben, gefestigter sind, um beispielsweise Angeboten von Freunden zu widerstehen und letztlich auch weniger Alkohol, Zigaretten und illegale Drogen konsumieren.

Viele Kinder berichten, mehr Spaß in der Schule zu haben, sich angstfreier zu melden und besser lernen zu können.

Bei IPSY übernehmen die Lehrerinnen und Lehrer selbst die Leitung der Einheiten. Warum?

Anders als bei anderen Präventionsprogrammen führen nicht externe Referentinnen und Referenten, sondern an den Schulen Beschäftigte das Programm durch. Sie kennen die Klassen und können sich gezielter auf die Umsetzung vorbereiten und – das ist besonders wichtig – diese nachhaltig über mehrere Jahre begleiten. Zur Vorbereitung bekommen die Teilnehmenden von uns im Rahmen eines Vermittlertrainings einen Überblick über die Methodik und erlangen ein Verständnis für diese besondere Art der Prävention. Außerdem unterstützen wir sie bei der Implementierung in der eigenen Schule.

Wie wirkt sich die Pandemie auf die Entwicklung von Lebenskompetenz bei Kindern und Jugendlichen aus? Und welche Lösungen bietet IPSY?

Auch ohne Pandemie stehen Jugendliche vor einer Reihe von Herausforderungen. Es ist eine Phase der Identitätsbildung, der Abgrenzung von den Eltern, in der andere soziale Kontakte an Bedeutung gewinnen. Diesen Prozess haben Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen stark beschnitten. Außerdem sind Kinder und Jugendliche noch nicht so geübt in der Selbstregulierung oder darin, den Tag zu strukturieren und eigenverantwortlich zu lernen. Die nötige Unterstützung konnten viele Eltern im Spagat zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung nicht zusätzlich bieten. Deshalb ist es gerade jetzt so wichtig Lebenskompetenz zu fördern, auch im Hinblick auf möglicherweise erneut anstehende Schulschließungen. Lebenskompetenz ist wie ein Werkzeugkoffer, der Rüstzeug an die Hand gibt, um mit Unsicherheit und Unvorhergesehenem umzugehen und auch über die Distanz hinweg im Kontakt zu bleiben. Auch beim Aufholen von Lernrückständen unterstützen Lebenskompetenzprogramme: Ein starker Klassenverband und ein gutes Kommunikationsverhalten ebnen den Weg für ein positives Klassenklima und eine konstruktive Lernumgebung, in der Inhalte viel schneller aufgeholt werden können.

Weitere Informationen

Seit 2015 fördert die TK das Präventionsprogramm IPSY in Thüringen. Nach der Pilotphase wurde das Programm 2018 bundesweit ausgerollt und steht Lehrerinnen und Lehrern kostenfrei zur Verfügung. Mittlerweile haben mehr als 800 von ihnen das Angebot wahrgenommen und das Training zur Durchführung absolviert. Noch bis 2024 unterstützt die TK das Projekt mit rund 750.000 Euro. Mehr Informationen zur Kooperation finden Sie hier.

 



Lesen Sie hier weiter

Johanna Küther Johanna Küther
Luise Zink Luise Zink
Aumio in action Johanna Küther Johanna Küther

Kommentieren Sie diesen Artikel

Lädt. Bitte warten...

Der Kommentar konnte nicht gespeichert werden. Bitte überprüfen Sie Ihre Eingaben.