Silvia Wirth

DiGA-Report 2022: Wo stehen die Apps auf Rezept?

Zusammen mit der Universität Bielefeld untersucht die TK im DiGA-Report 2022, wie gut die digitalen Gesundheitsanwendungen im Gesundheitssystem angekommen sind. Welche Ergebnisse ihn am meisten überrascht haben und was sich beim Nutzennachweis künftig ändern muss, das erklärt Studienleiter Prof. Dr. Wolfgang Greiner im Interview.

Prof. Dr. Wolfgang Greiner lehrt an der Universität Bielefeld.

Im Oktober 2020 wurden die ersten Apps auf Rezept zur Erstattung in der GKV zugelassen. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie zum Start, wenn Sie auf die vergangenen 1,5 Jahre schauen?

Es hat sich viel getan. Mittlerweile haben über 30 Anwendungen Eingang in das DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und damit in die GKV-Regelversorgung gefunden. Das heißt: Im Schnitt kommen pro Monat rund zwei neue Anwendungen hinzu. Unsere Analysen auf Grundlage von Abrechnungsdaten der TK-Versicherten machen jedoch auch deutlich, dass der neue Leistungsbereich noch in den Kinderschuhen steckt. So wächst die Zahl der Nutzungen keineswegs im gleichen Tempo. Außerdem ist aktuell noch eine sehr starke Konzentration auf einzelne Anwendungen zu erkennen. Auf die fünf meistgenutzten Apps auf Rezept (etwa für Rückenschmerzen oder Tinnitus) entfallen über drei Viertel aller Nutzungen und fast 70 Prozent des Umsatzes im DiGA-Markt.

Welche Ergebnisse des DiGA-Reports haben Sie am meisten überrascht?

Für Ärztinnen und Ärzte, die Apps auf Rezept bereits verordnen, und die Versicherten, die sie nutzen, spielt es bislang offenbar nur eine geringe Rolle, ob eine Anwendung ihren Nutzen bereits in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen hat oder nicht. So entfielen 78 Prozent der Verordnungen bis Ende 2021 auf Apps, die bislang zur Erprobung zugelassen waren und entsprechende Wirksamkeitsstudien somit erst nach Aufnahme in die Regelversorgung durchführen. Ein durchaus erfreulicher Befund unseres Reports ist, dass DiGA die niedrigen Minimalanforderungen, die an die vorzulegenden Studien gestellt werden, regelmäßig überschreiten. Wichtig für die Zukunft ist aber: Die Evaluation der DiGA muss auch nach der dauerhaften Aufnahme in die Regelversorgung weiter vorangetrieben werden, um die Aussagesicherheit zum Nutzen weiter zu verbessern.

Smarte Therapiebegleiter: Die Grafik zeigt, für welche Anwendungsgebiete die Apps auf Rezept am häufigsten verschrieben werden.

Ein komplett neuer Versorgungszweig lässt sich nicht über Nacht etablieren. An welchen Stellschrauben muss noch gedreht werden, damit DiGA nachhaltig ein Erfolg sein können?

Aktuell zeigt sich, dass die auf ein Jahr begrenzte Erprobungsphase für viele Hersteller nicht ausreicht, um die erforderlichen Studien zum Nutzennachweis durchzuführen. Es deutet sich an, dass eine Verlängerung der Erprobung – und damit auch des Zeitraumes der Erstattungsfähigkeit ohne Nutzennachweis – zur Regel wird. Bei der klaren Abgrenzung der Zielgruppe ist zudem eine größere Transparenz zu den Entscheidungsgründen und den methodischen Erwägungen des BfArM erforderlich.

Über den langfristigen Erfolg der Apps auf Rezept werden vor allem auch verlässliche Nutzennachweise und angemessene Preise entscheiden. Und ein Preis kann eben nur dann angemessen sein, wenn er in einem ausgewogenen Verhältnis zum nachgewiesenen Nutzen einer Anwendung steht. Aufhorchen lässt in diesem Zusammenhang der erste durch die DiGA-Schiedsstelle festgelegte Preis, der für eine App gegen Ein- und Durchschlafstörungen rund 52 Prozent unter dem ursprünglichen Herstellerpreis liegt. Sollte dies zukünftig häufiger der Fall sein, würde es zunehmend infrage gestellt, ob die freie Preisbildung im ersten Jahr in der Regelversorgung angemessen ist. Insbesondere, da erste für den DiGA-Report angestellte Modellrechnungen darauf hindeuten, dass die kürzlich eingeführten Höchstbetragsregelungen das Preisniveau im ersten Jahr nur sehr eingeschränkt regulieren werden.

Die erste DiGA konnte ihren Nutzennachweis nicht erbringen. Welche Konsequenzen hat das für Hersteller? Was muss sich beim Nutzennachweis künftig ändern?

Das dürfte weitreichende Implikationen für diesen neuen Leistungsbereich haben. Mit der Erprobungsregelung wird DiGA-Herstellern die Möglichkeit gegeben, den Nutzen ihrer Anwendung erst nach Eintritt in die Regelversorgung nachzuweisen. Das ist schon ein erheblicher Vertrauensvorschuss – vor allem wenn man berücksichtigt, dass auch Erprobungs-DiGA voll erstattungsfähig sind und ebenfalls von der Möglichkeit der freien Preisbildung im ersten Jahr profitieren. Aus Sicht der GKV ist es zweifelsohne problematisch, wenn Anwendungen diesem Vertrauensvorschuss nicht gerecht werden und ihren Nutzennachweis zum Ende der Erprobungsphase verfehlen. Die Versichertengemeinschaft hat dann mitunter schon viel Geld für eine Anwendung bezahlt, die nach aktueller wissenschaftlicher Erkenntnislage keinen zusätzlichen Nutzen für die Versorgung stiftet. Besonders kritisch ist das, wenn sich der Zeitraum der Erstattungsfähigkeit – wie zuvor skizziert – durch eine Verlängerung der Erprobung auch noch über den Regelfall von einem Jahr hinausgezogen hat.

Das nächste Jahr wird zeigen, ob fehlgeschlagene Erprobungsphasen zur Ausnahme oder zur Regel im DiGA-Markt werden. Sollte Letzteres der Fall sein, muss offen diskutiert werden, wie gerechtfertigt die freie Preisbildung im ersten Jahr wirklich ist. So oder so sollte man bereits jetzt kritisch prüfen, ob die aktuell bei Antrag auf Erprobung vorzulegenden systematischen Datenauswertungen – hierbei handelt es sich häufig um Vorher-Nachher-Vergleiche von App-Nutzern – wirklich ausreichend sind, um Prognosen zum Nutzen einer Anwendung zu stellen. Aus methodischer Sicht ergibt sich da zumindest Diskussionsbedarf.

Weitere Informationen

Nach einem Jahr DiGA im Gesundheitssystem blickt der DiGA-Report von der Techniker Krankenkasse und der Universität Bielefeld zurück und geht der Frage nach, wie gut die Apps auf Rezept in der Versorgung angekommen sind. Den kompletten Studienband und weitere Informationen finden Sie online auf unserer Themenseite.



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