Yvonne Wagner

Digitalisierung unterstützt selbstbestimmtes Naturerlebnis

In Hessen können Menschen mit Behinderung nun barrierefrei an der Wanderung „Wildschweinroute“ teilhaben. Die TK in Hessen unterstützt das Selbsthilfeprojekt mit dem Landesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte Hessen e.V. Ab sofort ist die Route über die App contagt abrufbar.

Renate Fürst und ihr Dolmetscher Robin Hildmann auf der "Wildschweinroute".

Normalerweise wandert Renate Fürst nur in Gruppen mit anderen Gehörlosen. Ihr Wanderverein plant vorab alles Nötige für sie, so dass sie nicht auf einen Dolmetscher angewiesen ist. Heute aber ist das anders. Sie ist in einer Gruppe mit Hörenden unterwegs. Es ist ein Test – für sie und für die neue Routenbeschreibung zum Waldlehrpfad „Wildschweinroute“ im Naturpark Taunus. Laura Ebert vom Landesverband für Körper- und Mehrfachbehinderung (LVKM) Hessen hat sie eingeladen, bei einer Begehung dabei zu sein.

Erfahrungen einbringen – Selbsthilfe mitgestalten

Ziel der Wanderung ist es, herauszufinden, welche Informationen in der Routenbeschreibung der App contagt noch eingebunden werden müssen, damit Menschen mit Behinderung den Waldlehrpfad autonomer und vielfältiger erleben können. Renate Fürst prüft den Erlebnispfad speziell unter dem Gesichtspunkt Verstehbarkeit. Die 71-Jährige ist seit einer Röteln-Erkrankung, die sie im Alter von zwei Jahren durchmachte, taub. Seither verständigt sie sich mit Gebärden und lebt dadurch sprachlich in einer ganz eigenen Welt, wie ihr Dolmetscher bei der Wanderung erklärt. Worte, die sie als Gebärde ausdrückt, sind völlig andere als die, die sie auf den Tafeln liest.

Nachbereitung ist das A und O: Renate Fürst fotografiert eine Infotafel.

Inhalte zu lesen, heißt überdies nicht, sie verstehen zu können. Das ist wie mit einer Fremdsprache. Die Erklärungen zum Wald, zum Boden, zu Tieren und Pflanzen muss sie sich deshalb oft übersetzen lassen. Eine Wanderung endet für sie deshalb nicht mit dem Moment, in dem sie zu Hause angekommen ist. Vielmehr bereitet sie jede Tour nach, indem sie die zuvor fotografierten Info-Tafeln oder einzelne Wörter daraus mit einer App in Gebärdensprache übersetzen lässt. Wie beispielsweise zu ihrem heutigen Erlebnis an der Station „Baumtelefon“: „Ich kann zwar nicht hören, wie das Baumtelefon funktioniert, aber eine Erklärung dazu wäre interessant.“ Eine zugehörige Tafel gab es nämlich zum Zeitpunkt ihrer Begehung noch nicht.

Mit „Leichter Sprache“ besser verstehen

Für eine solche Tafel ist es wiederum wichtig, dass sie in „Leichter Sprache“ verfasst wird. Die „Wildschweinroute“ soll nämlich für Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen zugänglich und erlebbar sein. „Oft ist der Fokus auf Körperbehinderung gerichtet und da wiederum speziell auf Menschen im Rollstuhl“, sagt Laura Ebert, „wir versuchen aber Menschen mit verschiedenen körperlichen und/oder geistigen Behinderungen mit ihren Bedürfnissen bei der Routenführung einzubeziehen.“

Digitalisierung als Türöffner

Mit dieser Absicht trifft das Projekt den Kern von Selbsthilfe, wie Dr. Barbara Voß, Leiterin der TK-Landesvertretung Hessen, unterstreicht: „Betroffene gestalten ein Angebot aktiv mit, denn sie haben die beste Expertise für ihre Lebenssituation. Hier zeigt sich auch die besondere Stärke dieser digitalen Anwendung: Sie ist ein Türöffner, damit auch Menschen mit Behinderungen an analogen Angeboten in der Natur teilnehmen können.“ Ein Jahr lang wird die Route nun erprobt. In diesem Zeitraum sind noch mehrere Begehungen geplant, um Bedarfe und Angebot abzugleichen und falls nötig das Angebot weiter anzupassen.

Weitere Informationen

Weitere Informationen zu dem Projekt gibt es hier: Selbst­hilfe – Digi­ta­li­sie­rung hilft, Natur leichter zu erleben.

Die TK fördert und unterstützt die Arbeit von Selbsthilfegruppen: Hier gibt es Informationen zur Selbsthilfeförderung Hessen.



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