Eingerahmt von Bundeskanzler Olaf Scholz, der die zweitägige Konferenz am ersten Morgen eröffnete, und Vizekanzler Robert Habeck, dessen Auftritt den Schlusspunkt am zweiten Tag bildete, gaben sich auf der #Europe2024 prominente Persönlichkeiten die Klinke in die Hand: Neben Kanzler und Vizekanzler waren unter anderem die estnische Regierungschefin Kaja Kallas, der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire, Airbus-CEO Guillaume Faury oder EM-Botschafter Philipp Lahm dabei.
Ein viel erwartetes Highlight war der Auftritt der US-Zukunftsforscherin Amy Webb. Bekannt ist sie für ihre Auftritte bei der texanischen Konferenz SXSW (South by Southwest), bei der sie regelmäßig riesige Hallen füllt. Und auch in Berlin füllten sich die Stuhlreihen schnell als ihr Auftritt näher rückte. Sie stellte den neuen Bericht ihres Future Today Institute (FTI) zur Lage in Deutschland vor. Darin werden für die Entwicklung Deutschlands zwei Szenarien geschildert: Eine optimistische Zukunft, für die aber kurzfristig mutige Entscheidungen notwendig seien, und eine pessimistische Variante, falls wir in der Komfortzone des aktuellen Status Quo bleiben.
Emotional forderte sie das Land auf, endlich mehr aus seinen Möglichkeiten zu machen. In Deutschland gebe es beste Voraussetzungen, die das Land in der Vergangenheit so erfolgreich gemacht hätten. Und auch heute sei Deutschland gut für die Zukunft gerüstet: Nach den USA und Großbritannien gebe es in Deutschland etwa die meisten KI-Forscherinnen und -Forscher und mit 1.300 „Hidden Champions“ im Mittelstand eine einzigartige Struktur von Unternehmen, die in ihrem Bereich Weltmarktführer sind. Das gebe es so in keinem anderen Land der Welt. Doch aktuell mache Deutschland viel zu wenig aus seinen Möglichkeiten. Ihre Reaktion war deutlich: „WTF is going on here?!“.
Mit TK-Chef Jens Baas sprach sie anschließend darüber, was getan werden muss, um das positive Zukunftsszenario zu erreichen. Ein besonderer Fokus galt dabei dem Gesundheitswesen – ein besonders veränderungsresistentes System, wie Baas schilderte. Dabei seien jetzt mutige Entscheidungen und kalkulierte, strategische Risiken notwendig. Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft kämen ohnehin, betonte er. Ausschlaggebend sei, dass wir alles tun, um diese Veränderungen mitgestalten zu können. Ein großes Problem sei das fehlende Bewusstsein für die Dringlichkeit des nötigen Wandels. Die Lage sei schlicht zu gut, der Druck zu eigenen Veränderungen deshalb nicht stark genug, so Baas. Der Erfolg der Vergangenheit könnte so zu den Problemen der Zukunft führen.
Mit Blick auf das Gesundheitswesen betonte Baas vor allem das Verhältnis aus Kosten und Nutzen: Man habe zwar eine gute Gesundheitsversorgung, aber gemessen an den Kosten seien wir im Moment „ziemlich schlecht“. Ein großer Teil dieser Kosten gehe dabei auf chronische Erkrankungen zurück. Mit zielgerichteten individuellen Präventionsmaßnahmen könnte man diese Krankheiten effektiver verhindern oder zumindest hinauszögern. Damit würde die Lebensqualität vieler Menschen verbessert und das Gesundheitssystem entlastet. Um den Menschen aber maßgeschneiderte Präventionsmaßnahmen bieten zu können, brauche es individuelle Gesundheitsdaten. Nur mit praktischen Beispielen, die den Menschen einen Mehrwert bieten, kann man sie von den Vorteilen dieser Datennutzung überzeugen.
Die zentrale Rolle von Daten wurde an beiden Tagen in vielen weiteren Gesprächen immer wieder betont. Die etwas abgegriffene Redewendung von Daten als „Öl des 21. Jahrhunderts“ schien wieder einmal zu stimmen. Gerade im Bereich der künstlichen Intelligenz brauche es Daten, etwa zur Entwicklung von Large Action Models (LAM) als Weiterentwicklung der Large Language Models (LLM), so Amy Webb. In einem anderen Panel betonte Prof. Dr. Michael Baumann vom Deutschen Krebsforschungszentrum, dass eine moderne Forschung Daten braucht. Datenschutz in der Medizin müsse dabei vor allem der Schutz der Daten der Patientinnen und Patienten in ihrem Sinne sein.
Zum Abschluss der #Europe2024 ging es bei Robert Habeck erneut um die großen Themen jenseits des Gesundheitswesens, etwa den Einfluss von KI auf den Arbeitsmarkt. Er erwartet zwar Veränderungen, aber keinen Verlust an Arbeitsplätzen insgesamt. Ein Blick 150 Jahre in die Vergangenheit zeige, dass neue Jobs entstehen werden, die man sich heute noch gar nicht vorstellen kann. So würde ein Bauer aus dem 19. Jahrhundert sich wundern, dass heute nicht mal mehr zwei Prozent der Menschen in der Landwirtschaft tätig sind, so der Vizekanzler, der mit seinem Auftritt bei der #Europe2024 „das Licht ausgemacht hat“ wie er selbst festgestellt hat. Wohlbemerkt nur für die diesjährige Europakonferenz. Im nächsten Jahr möchte er wiederkommen.