Johanna Küther

„Der Tod ist unvermeidbar, der frühe Tod durchs Rauchen ist es nicht.“

Kein Geheimnis: Rauchen schadet der Gesundheit. Warum es trotzdem so schwierig ist, vom Glimmstängel loszukommen und wie die App TK-RauchFrei Menschen dabei unterstützt, erklärt Psychologe und Suchtexperte Peter Lindinger.

Herr Lindinger, wie steht es um das Rauchverhalten der Deutschen?

Da haben wir mit der DEBRA-Studie in Deutschland eine ganz gute Datengrundlage, die zeigt: Im europäischen Vergleich sind wir leider zweifelhafter Spitzenreiter. Wir sehen in den letzten Jahren einen Anstieg der Rauchenden, momentan rauchen 34,4 Prozent der Bevölkerung. Besonders dramatisch ist, dass bei den 18- bis 24-Jährigen mehr als 40 Prozent und bei den über 25-Jährigen immer noch über 35 Prozent der Befragten rauchen. Dabei ist das größte Problem nach wie vor die klassische Tabakzigarette. Die E-Zigarette ist nur bei ein bis zwei Prozent verbreitet.

Alle wissen um die Gesundheitsgefahr von Zigaretten, warum rauchen nach wie vor so viele Menschen?

Das Suchtpotenzial von Nikotin wird in der Gesellschaft dramatisch unterschätzt. Dabei ist wie bei einer Alkohol- oder Opioidsucht auch hier die Kontrollminderung ein wesentlicher Aspekt der Abhängigkeit. Nur handelt es sich eben um einen nicht-sichtbaren Effekt, anders als beim Alkoholkonsum, bei dem alle sehen können, dass jemand betrunken ist. Ich sage oft, bei der Nikotinsucht ist man nicht berauscht, nur beraucht. Das heißt auch, dass weniger sozialer Druck besteht aufzuhören.

Suchtexperte Peter Lindinger

Woran scheitern Menschen, wenn sie aufhören wollen zu rauchen?

Ein großes Problem ist, dass der frisch gebackene Nichtraucher an jeder Ecke einen Zigarettenautomaten oder rauchende Menschen sieht. Zigaretten sind allgegenwärtig und die hohe Zahl an Rauchenden in der Gesellschaft ein zusätzlicher Risikofaktor. Außerdem denken viele, die sich den Rauchstopp vorgenommen haben und dann das Verlangen nach einer Zigarette verspüren, dass es sich wohl um den falschen Zeitpunkt handelt. Dabei ist das eine normale Umstellungsphase, die auch mit Entzugserscheinungen einher geht. Die sind unangenehm, aber nicht gefährlich. Diese Phase muss man auch nicht allein überstehen, oftmals haben Rauchende aber den Anspruch, den Ausstieg allein schaffen zu müssen. Es gibt in Deutschland eine Reihe von Angeboten zum Rauchstopp, wie zum Beispiel die Telefonberatung der BZgA, deren Nummer auf jeder Schachtel steht, oder die Gruppenkurse, die auch von den Krankenkassen angeboten werden.

Wie kann die App TK-RauchFrei hier unterstützen?

Menschen, die sich diese Verhaltensänderung als Gesundheitsziel gesetzt haben, werden mit der App oder dem webbasierten Coach über mehrere Phasen an die Hand genommen. Das ist wesentlich effektiver als eine nicht-interaktive Unterstützung bei der Tabakentwöhnung, wie das bloße Bereitstellen von Materialien. In der Vorbereitungsphase schauen Teilnehmende zunächst auf ihr aktuelles Rauchverhalten. Wann und warum rauchen sie? Wer 15 oder 20 Zigaretten am Tag raucht, hat das Gefühl eigentlich dauernd zu rauchen. Aber wenn man genau hinschaut, sieht man, es gibt Phasen, in denen viel und dann wieder welche, in denen wenig geraucht wird. Was ersetzt in diesen Phasen die Zigarette? So lassen sich Muster erkennen und Ressourcen für andere Arten von Beschäftigung oder Bewältigung identifizieren. Nach dem selbst gewählten Ausstiegstermin beginnt die Entwöhnungsphase. Hier protokollieren Teilnehmende, wie sich ihr Rauchverlangen entwickelt. Außerdem geht es nun um die Anwendung der zuvor erlernten VBR-Strategie, also das Vermeiden und Bewältigen von oder den Rückzug aus kritischen Situationen. Ich versuche zuallererst also vielleicht den Spieleabend in der Kneipe, bei dem traditionell geraucht wird, zu vermeiden. Situationen, die ich nicht vermeiden kann, gilt es zu bewältigen. Was mache ich statt des Rauchens? Das habe ich mir in der Vorbereitungsphase überlegt. Und im Notfall gilt es, den Rückzug anzutreten. So erlange ich einen Spielraum im Umgang mit meinen individuellen Risikofaktoren. Über den gesamten Zeitraum steht den Teilnehmenden außerdem eine telefonische Beratung zur Verfügung.

Ich sage oft, bei der Nikotinsucht ist man nicht berauscht, nur beraucht. Das heißt auch, dass weniger sozialer Druck besteht aufzuhören.

Was hilft, um konsequent zu bleiben?

Sich vor Augen zu führen, warum man sich für den Rauchstopp entschieden hat. Nach dem Rauchstopp kann man alles tun, damit es einem leichter fällt, nur die Option „eine Zigarette rauchen“ ist weggefallen. Insbesondere Jüngere wollen wieder mehr Kontrolle erlangen, nicht ständig darüber nachdenken, wann man wo rauchen kann oder ob man das Feuerzeug wirklich eingesteckt hat. Viele stellen auch fest, dass Bewegung nun mehr Spaß macht, weil die Sauerstoffaufnahme verbessert ist. Im höheren Alter steht der Gesundheitsaspekt im Vordergrund. Wenn ich mich im Alter von 40 Jahren für einen Rauchstopp entscheide, bekomme ich von den 10 Lebensjahren, die ich durchs Rauchen bis zum Lebensende aufs Spiel setze, etwa acht Jahre zurückgeschenkt. Ab dem 50. Lebensjahr sind es nur noch etwa viereinhalb Jahre. Der Tod ist unvermeidbar, der frühe Tod durchs Rauchen ist es nicht.

Sollte man nicht gerade aus diesem Grund auf Prävention setzen?

Auf jeden Fall! In der Tobacco Control Scale, in der 37 Länder entsprechend ihrer Tabakkontrollmechanismen eingeordnet werden, liegen wir in Deutschland leider auf Platz 34. Andere Länder haben beispielsweise eine viel höhere Tabaksteuer, dort geht Rauchen viel mehr ins Geld. In unmittelbarer Nachbarschaft ist Irland ein gutes Beispiel: Bis 2025 will es eine rauchfreie Nation mit weniger als fünf Prozent Rauchern werden. Dort haben in den letzten 12 Monaten mehr als 40 Prozent der Rauchenden einen Rauchstopp versucht. Zum Vergleich: In Deutschland waren es weniger als acht Prozent. In Irland ist das Thema außerdem in der medizinischen Ausbildung fest verankert. Egal, in welchem Kontext ich in Kontakt mit dem dortigen Gesundheitssystem komme, ich werde auf meinen Tabakkonsum angesprochen. In Deutschland lernt man hingegen eher mit den Folgeerkrankungen umzugehen.



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