Christiane Haun-Anderle

Frau Dr. Eitze, warum entscheiden sich Menschen gegen Impfungen?

Gesundheitspsychologin Dr. Sarah Eitze von der Universität Erfurt forscht seit vielen Jahren dazu, wieso Menschen sich impfen lassen oder eben auch nicht. Zu den Ursachen und möglichen Maßnahmen, um mehr Menschen zum Thema Impfschutz zu erreichen, spricht sie mit uns im Interview.

Frau Dr. Eitze, Sie beschäftigen sich als Gesundheitspsychologin unter anderem damit, wie Menschen Entscheidungen für oder gegen eine Impfung treffen. Wieso ist es wichtig, das zu wissen?

Beim Impfen geht es darum, etwas zu tun, das sich erst später auszahlt. Und die „Belohnung“ ist nicht einmal direkt spürbar, es soll ja schlicht ein negatives Ereignis – die Erkrankung – verhindert werden. So ist das häufig in der Prävention.  Nach dem Motto: Man weiß Gesundheit erst zu schätzen, wenn man krank ist. Vorausschauendes Handeln, bei dem man den Effekt selbst nicht direkt fühlt, ist für viele Menschen schwer. Wenn wir die Impfbereitschaft von Menschen steigern möchten, für die eine Impfung medizinisch sinnvoll ist, müssen wir wissen, warum sie sich für oder gegen eine Impfung entscheiden.

Gesundheitspsychologin Dr. Sarah Eitze von der Universität Erfurt forscht seit vielen Jahren dazu, wieso Menschen sich impfen lassen oder eben auch nicht.

Also: Warum lassen Menschen sich impfen oder eben nicht impfen?

Zuerst einmal gibt es eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Die kann auch unbewusst getroffen werden. Ist mein individuell empfundener Nutzen höher als der Aufwand, den ich betreiben muss, entscheide ich mich für das Impfen. Ist es umgekehrt, entscheide ich mich dagegen. Aufwand ist dabei sehr breit zu verstehen. Das kann organisatorischer Aufwand sein, also „Wie anstrengend ist es für mich, mir die Spritze abzuholen?“, aber auch emotionaler oder kognitiver Aufwand. Der entsteht zum Beispiel, wenn ich das Gefühl habe, mich intensiv mit einem Thema auseinandersetzen zu müssen, das ich nicht greifen kann. 

Heißt das, dass zu viele Informationen eine Hürde sind?

Eher: sein können. Es gibt Menschen, die sich zu informieren als Barriere wahrnehmen. Das beobachten wir verstärkt seit der Corona-Pandemie. Zusätzlich zu etlichen Herausforderungen mussten wir damals in kurzer Zeit viel zum Thema Impfen lernen: Welche Impfstoffe gibt es? Wie wirken diese? Wieso können sich wissenschaftliche Erkenntnisse ändern? Da fallen sicher jedem ein paar Beispiele ein. Bei einigen ist diese Überforderung noch spürbar und es heißt dann „bleib mir bloß weg mit dem Thema“. Das wirkt sich dann zum Teil auch auf andere Impfungen aus.

Wie bei der individuellen Kostenbewertung fällt immer wieder auf: Impfentscheidungen finden immer in einer Umwelt statt, die Informationen an uns heranträgt. Die können gut recherchiert und aufgearbeitet sein, aber manche eben auch schlicht falsch. Um gegen Impfmythen gewappnet zu sein, muss man vertrauenswürdige Quellen und Kanäle erkennen und von solchen unterscheiden, die subjektiv und wenig fundiert arbeiten. Diese Kompetenz sollte schon in der Schule und dann über alle Generationen hinweg gefördert werden. Mit neuen Entwicklungen wie Künstlicher Intelligenz wird es immer neue Fähigkeiten brauchen, um alle Falschinformationen zu erkennen und sich gut für die Gesundheit entscheiden zu können.

Was können wir daraus für die Impfaufklärung ableiten?

Wenn Menschen sich zu informieren als Barriere wahrnehmen, muss es vielleicht einfacher werden, den besten Schutz zu bekommen, ohne sich im Detail informieren und aktiv werden zu müssen. Das passiert zum Beispiel, wenn ich niedrigschwellige Impf-Gelegenheiten anbiete, wie es einige Apotheken oder Betriebsärztinnen und Betriebsärzte tun. Es hat auch einen Effekt, wenn mich Personen, denen ich vertraue, aufs Impfen ansprechen. Hausärztinnen und Hausärzte, aber auch medizinisches Personal im Bekanntenkreis spielen hier eine große Rolle.  

Welche weiteren Stellschrauben gibt es, wenn man Impfquoten erhöhen möchte?

Hürden abzubauen ist der eine wichtige Punkt. Der andere ist, genau den Nutzen stärker herauszustellen, der für die jeweilige Person oder eine Personengruppe wichtig ist. Großeltern kann es zum Beispiel wichtig sein, mit ihren Enkeln spielen zu können, ohne sich vor Grippe oder RSV-Viren zu sorgen, die das Kind vielleicht aus der Kita mitbringt. Gleichzeitig wissen sie nicht, wie schwerwiegend die Folgen einer Grippe besonders für sie sein können. Pflegekräfte wollen vielleicht die Bewohnerinnen und Bewohner im Heim vor Ansteckung schützen. Arbeitnehmende möchten im Büro nicht ausfallen, weil sie oder ihr Kind mit einer vermeidbaren Erkrankung im Bett liegt.

Zur Person

Dr. Sarah Eitze ist Gesundheitspsychologin. In ihrer Dissertation befasste sie sich mit Impfentscheidungen und dem Einfluss von Wissen über Folgeerkrankungen, Gesundheitskompetenz und Reaktionsbereitschaft. Die Determinanten des Impfverhaltens sind ein anhaltendes Forschungsinteresse. In ihrer Rolle als Mitglied am Institute for Planetary Health Behaviour (IPB) ergänzt Dr. Sarah Eitze ihre Forschung um die Themen Pandemievorsorge, Frauengesundheit mit besonderem Fokus auf die Stigmatisierung von Endometriose und Menstruationsgesundheit sowie Patienten-Empowerment. Am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin ist Sarah Eitze stellvertretende Direktorin des WHO Collaborating Centre for Behavioral Research in Global Health (WHO CC BRIGHT). 



Lesen Sie hier weiter

Laura Hassinger Laura Hassinger
Dr. Jens Baas Dr. Jens Baas
Stressstudie 2021 Portraitbild Nicole Nicole Knabe

Kommentieren Sie diesen Artikel

Lädt. Bitte warten...

Der Kommentar konnte nicht gespeichert werden. Bitte überprüfen Sie Ihre Eingaben.