Das Problem: Viele, die den Computer im Homeoffice herunterfahren, machen in ihrem privaten Digitalverhalten noch lange keinen Feierabend. Kürzlich referierte Durner dazu beim Online-Selbsthilfeportal webcare.plus – ein Projekt der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen in Kooperation mit der TK in Hessen.
Wie wirkt sich in der Corona-Pandemie die Arbeit mit digitalen Medien auf die Menschen aus?
Die Bildschirmzeiten nehmen aktuell erheblich zu. Im Homeoffice sitzen die Menschen länger ununterbrochen am Rechner. Der private Medienkonsum bleibt nicht aus. Alles kombiniert, führt zwangsläufig zu weniger Bewegung, was körperliche Beschwerden begünstigt. Dazu kommt, dass in digitalen Meetings oft parallel Mails oder Chat-Nachrichten bearbeitet werden. Gleichzeitig blinken die Smartphones – all das raubt Aufmerksamkeit und macht müde. Die Arbeitsqualität nimmt ab, Fehler können entstehen, was wiederum Angst und Ärger verursachen kann. Der fehlende direkte Kontakt zu Teamkolleginnen und -kollegen heißt überdies: weniger Mikropausen, weniger Wertschätzung, die psychischen Belastungen steigen.
Wie gelingt es, die digitale Balance im Homeoffice zu erhalten und in diesen Zeiten die Chance zu ergreifen, mehr Digitalkompetenz zu erwerben?
Digitale Balance und Digitalkompetenz wirken zusammen. Eine Dysbalance zeigt sich an körperlichen und psychischen Reaktionen, wie Konzentrationsschwäche, Verspannungen, Gereiztheit. Wir sind in diesen Zeiten besonders gefordert uns Tankstellen zu suchen, bei denen wir Energie wieder aufladen und unsere Bedürfnisse außerhalb der digitalen Welt stillen. Wir müssen in der jetzigen Zeit frühzeitig in uns hineinspüren und wachsam sein. Wer so sorgsam mit sich umgeht, zeigt einen Aspekt guter Digitalkompetenz. Ganz besonders hilfreich ist es außerdem, der Versuchung von Multi-Tasking zu widerstehen – denn das ist ohnehin ein Mythos.
Inwiefern?
Die Praxis erfordert eher das schnelle Wechseln zwischen mehreren Aufgaben, und nicht das gleichzeitige Bearbeiten. Möglich ist, dass ein sensorischer, motorischer und ein kognitiver Prozess gleichzeitig ablaufen. Das Gehirn legt aber immer einen Schwerpunkt. Das Gehirn kann es nicht leisten, zwei Informationen gleichzeitig und auch noch gleichwertig zu verarbeiten. Unsere zerebrale Steuereinheit fungiert da als Flaschenhals. Wer versucht alles gleichzeitig zu machen, arbeitet nicht mehr effizient. Und noch ein Aspekt, der dagegen spricht: Störungen durch Social-Media-Nachrichten machen 60 Prozent aller Unterbrechungen der Arbeit aus. Pro Beschäftigtem heißt das rund eine Stunde weniger Arbeitszeit, das hat erhebliche wirtschaftliche Folgen.
Und wie geht nun digitale Balance als Basis für Digitalkompetenz?
Drei Fragen helfen da zu reflektieren: Welcher Medienkonsum stört mich an mir selbst? Woran spüre ich digitale Dysbalance? Wie sieht mein Idealzustand aus, bei dem ich mich mit dem digitalen Medienkonsum körperlich und seelisch auch langfristig wohlfühle? Wer Antworten darauf hat, kann seine Mediennutzung eher anpassen, gesund bleiben und trotzdem von den vielen positiven Erfahrungen des digitalen Arbeitens profitieren. Aus meiner Sicht ist die permanente und unbegrenzte Verfügbarkeit einer der Hauptgründe für die intensive Nutzung: Verfügbarkeit macht Konsum. Ein Anfang könnte sein, dass in bestimmten Situationen ganz bewusst auf das Smartphone verzichtet wird: Im Schlafzimmer, im Straßenverkehr, beim Joggen, beim Treffen mit Freunden und Familie.