Dr. Hendrik Bruns beschäftigt sich mit kognitiven Aspekten von Falschinformationen und erklärt im Interview unter anderem, wie man Falschinformationen kommunikativ begegnen kann.
Sie haben mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der ganzen Welt ein Kommunikationshandbuch zum Umgang mit Covid-19-Impfstoffen herausgegeben. Was verbirgt sich dahinter?
Es war früh klar, dass Falschinformationen die Pandemie begleiten werden. Die Weltgesundheitsorganisation hat deswegen schon früh von einer „Infodemie“ gesprochen. Damit machte sie auf die riesige Menge an Fehlinformationen und Halbwahrheiten aufmerksam. Das macht auch die Notwendigkeit deutlich, ein solches Handbuch zu entwerfen. Es soll Politikerinnen, Ärzten und anderen Interessierten eine Möglichkeit geben, sich über wissenschaftliche Fakten und die Eigenschaften von Falschinformationen zu informieren.
Was beeinflusst aus Sicht der Forschung die Einstellung gegenüber den Impfstoffen?
Natürlich spielen diverse Faktoren eine Rolle und die verhaltenswissenschaftliche Forschung versteht diese manchmal recht gut, manchmal auch weniger gut. Das hängt oft mit der Verfügbarkeit und Verlässlichkeit von Daten zusammen. Faktoren wie das soziale Umfeld (Was denken Freunde und Familie über die Impfung?) das kulturelle, infrastrukturelle und politische Umfeld (Besteht eine Impfpflicht? Ist es leicht, sich impfen zu lassen?) und die verfügbaren Informationen spielen eine Rolle.
Und da kommt eben auch die Gefahr von Falschinformationen ins Spiel. Fast niemand von uns hat das entsprechende Fachwissen. Also tut man oft gut daran, sich auf Expertinnen und Experten zu verlassen. Wer oder was aber eine verlässliche Quelle ist, ist manchmal nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Das kann dazu führen, dass wir Falschinformationen Glauben schenken und so zögern, uns impfen zu lassen.
Eine Impfung ist ein medizinischer Eingriff und kann auch Nebenwirkungen haben – Aufklärung ist deshalb wichtig. Es kursieren aber auch ganz klare Falschinformationen und Verschwörungsmythen. Welche Rolle spielen hier die Sozialen Medien?
Um solche Entscheidungen so gut wie möglich treffen zu können, ist man auf vertrauenswürdige und verlässliche, am besten wissenschaftliche Informationen angewiesen. Die Sozialen Medien liefern solche Informationen nicht verlässlich. Wir werden größtenteils mit den Informationen konfrontiert, die mit unseren Ansichten und denen unserer Freunde übereinstimmen. Diese können auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen, basieren aber auch oftmals auf Anekdoten, Lügen und Vermutungen. Es ist normal, dass wir solche Informationen in unsere Entscheidungen einbeziehen, aber sie sollten in solch wichtigen Situationen nicht wissenschaftliche Erkenntnisse verdrängen. Aber auch die positiven Seiten des Internets sind zu betonen: Wir können auf verlässliche Informationen zugreifen und mit ein bisschen Mühe Expertinnen und Experten erreichen, die uns diese verständlich machen. Das haben wir ja auch mit dem Handbuch versucht.
Welche Tipps geben Sie und die anderen Autorinnen und Autoren zum Umgang mit Falschinformationen?
Im Handbuch stehen ja einige Beispiele, diese sind in erster Linie an Vertreterinnen und Vertreter aus der Politik und Medizin gerichtet. Ich finde den Ansatz der „Impfung gegen Falschinformationen“ interessant, bei dem man Menschen mit einer kleinen Dosis an leicht verständlichen und widerlegbaren Falschinformationen konfrontiert – oft in spielerischem Umfeld. Dadurch lernen sie, sich dagegen gedanklich abzusichern. Das funktioniert also fast wie eine Impfung. Dazu gibt es Spiele, wie zum Beispiel „Bad News“. Darüber hinaus kann es helfen, sich mit der Funktionsweise von Falschinformationen zu befassen. Die meisten Narrative folgen einer ähnlichen Logik und benutzen ähnliche Argumentationsmuster. Es gibt ein tolles Comicbuch zu Mythen des Klimawandels von Dr. John Cook.
Bei der Debatte um wissenschaftliche Ansichten zum Klimawandel geht es außerdem auch oft um „falsche Ausgewogenheit“. Die meisten Studien kommen zu dem Schluss, dass ungefähr 97 Prozent aller Expertinnen und Experten davon überzeugt sind, dass Menschen zum Klimawandel beitragen. Wenn in einer Diskussionssendung ein Klimaskeptiker einem Klimaexperten gegenübergestellt wird, suggeriert das, beide Standpunkte wären auch in der Realität gleichwertig vertreten. Diese Unausgewogenheit hervorzuheben oder sie gar nicht erst entstehen zu lassen, kann Einfluss darauf haben, wie Zuschauerinnen und Zuschauer solche Debatten wahrnehmen.