Herr Minister, welche Erfahrungen machen die Schulen gerade jetzt unter Coronabedingungen hinsichtlich der Entwicklung von Cybermobbing?
Mit Sicherheit gibt es einen Anstieg des Anteils der Jugendlichen, die negative Erfahrungen machen, denn sie sind jetzt durch den Distanzunterricht notgedrungen viel mehr im Netz unterwegs. Es ist ein tendenziell größeres Spielfeld für alle Aktivitäten da, die in Richtung Mobbing gehen. Es gibt Studien wie Cyberlife III, vom Bündnis gegen Cybermobbing und der TK, die den Zeitraum 2017 bis 2020 untersucht und bereits hier einen Anstieg des Mobbings von 13 auf 17 Prozent in den untersuchten Altersgruppen verzeichnet haben. Das ist unter Corona-Bedingungen mit Sicherheit nicht weniger geworden.
Das Projekt „Gemeinsam Klasse sein“ läuft in mehreren Bundesländern. Hessen setzt das Projekt in Kooperation mit der TK seit vergangenem Schuljahr um – 85 Schulen beteiligen sich bereits. Was versprechen Sie sich von dem Angebot genau?
Wir müssen im Kampf gegen Mobbing und Cybermobbing vor allem zwei Dimensionen unterscheiden: Das eine ist die Prävention, das andere die Intervention, wenn es doch zu Mobbingfällen gekommen ist. „Gemeinsam Klasse sein“ bedient den Präventionsmechanismus und setzt schon früh in der 5. Klasse an, um Mobbing wirksam zu verhindern. Ich glaube, dass das Projekt wirklich dazu beiträgt, dass viele Fälle gar nicht erst entstehen.
Für die Lehrkräfte war es allerdings wesentlich schwieriger, Mobbingfälle über die Distanz zu erkennen und darauf zu reagieren. Indem wir die Kinder wieder in den Präsenzunterricht zurückholen, werden auch unsere Lehrkräfte wieder effektiver gegen Mobbing vorgehen können. Wir müssen uns Zeit und Raum nehmen, um in Anti-Mobbing-Projekte zu investieren und ein gutes Lernklima zu schaffen. Eins ist ganz klar: Wer gemobbt wird, wer Angst vor seinen Mitschülerinnen und Mitschülern hat, kann weniger gut lernen. Er oder sie fällt vielleicht sogar ganz aus dem System heraus, und dann sind auch alle sonstigen Bildungsanstrengungen mehr oder weniger umsonst gewesen.
Wir müssen uns Zeit und Raum nehmen, um in Anti-Mobbing-Projekte zu investieren und ein gutes Lernklima zu schaffen.
Wie unsere Studie Cyberlife III ermittelt hat, wünschen sich viele der befragten Eltern, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, ein Gesetz gegen Cybermobbing. Sie versprechen sich davon eine strafrechtliche Verfolgung der Täter und klare einheitliche Regeln. Was halten Sie persönlich davon?
Ich glaube, das wird in der Wahrnehmung überbewertet – jedenfalls was die strafrechtliche Dimension angeht. Alles, was unter Cybermobbing läuft und die strafrechtliche Schwelle überschreitet, kann zum Beispiel unter die einschlägigen Straftatbestände der Beleidigung, Verleumdung, üblen Nachrede, Drohung, Erpressung oder Nötigung fallen. Es besteht also erst einmal keine Strafbarkeitslücke. Wo wir etwas tun müssen, ist die schulische und außerschulische Präventions- und Aufklärungsarbeit. Genau darauf zahlt das Projekt „Gemeinsam Klasse sein“ ein. Das Strafrecht ist nur die Ultima Ratio, wenn bestimmte Grenzen überschritten sind. Bis dahin haben wir aber in unseren Schulen noch genug pädagogischen Spielraum.
Eine gut ausgeprägte Medienkompetenz hilft auch Cybermobbing zu vermeiden oder angemessen darauf zu reagieren. Was sind für Sie die wichtigsten Hebel, um Medienkompetenz zu stärken?
In Hessen richten wir uns mit Angeboten jeweils direkt an die Kinder und Jugendlichen, aber auch an die Lehrkräfte. Die sogenannten Peer-to-Peer Projekte haben bei den Schülerinnen und Schülern eine besondere Wirkung. Dabei kommt beispielsweise ein Oberstufenschüler in die Klasse seiner jüngeren Mitschülerinnen und Mitschülern und spricht mit ihnen über den Umgang mit Medien. Das hat eine ganz andere Durchschlagskraft, als wenn der Lehrer über Medienkompetenz reden will. Zudem arbeiten wir direkt mit Medienanstalten zusammen, wie beim Schulmedientag des Hessischen Rundfunks.
Medienkompetenz muss aber auch ganz wesentlich von den Lehrkräften vermittelt werden. Deshalb steht deren Aus- und Fortbildung hier im Zentrum. Wir haben die Fachberatung Medienbildung in den Staatlichen Schulämtern gestärkt, zusätzliches Material entwickelt und bieten Onlineseminare. Was wir trotzdem noch brauchen, sind Programme, die sich ganz gezielt an Eltern richten. Auch hier gilt: Wenn Eltern ihren Kindern die entsprechenden Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien vorleben und mitgeben, hat es die Schule wesentlich einfacher. Das wäre ein lohnendes Feld, auf dem sicher noch Entwicklungspotenzial besteht.
Auch in der Grundschule kann Cybermobbing schon ein Problem sein. Gibt es in Hessen Bestrebungen bereits hier Anti-Mobbing-Projekte aufzusetzen?
Es gibt Überlegungen dazu, aber noch kein konkretes Projekt. Bei den jüngeren Kindern müssen wir mit der Thematik noch sorgsamer umgehen. Mit einem Fünftklässler können wir schon ganz anders reden als mit einem Grundschulkind. Deshalb müssen wir in der Grundschule pädagogisch anders herangehen. Aber ja, wir müssen uns dazu Gedanken machen.
Könnte man das Thema Medienkompetenz, auch präventiv gegen Cybermobbing, nicht auch schon in der Grundschule angehen?
Auf jeden Fall. Das wird sich jetzt auch so ergeben, weil in der Grundschule die digitalen Geräte eingesetzt werden. Da ist jetzt eine gute Gelegenheit, um Basiskompetenzen zu vermitteln.
Weitere Informationen
Die Lebens- und Arbeitswelt wird stetig digitaler. Eine gut ausgeprägte Digital- und Medienkompetenz kann dabei helfen, sich besser darin zurechtzufinden. Weiterführende Informationen zu Digitalkompetenz und Medienkompetenz finden Sie auf den Presseseiten der TK sowie auf unserer Themenseite Digitale Mediennutzung.