Wir stecken derzeit in einem Dilemma: Digitale Services wie die elektronische Patientenakte (ePA) oder das E-Rezept sind zwar offiziell schon vor einiger Zeit ins Rennen gegangen, aber sie haben es nach dem Startschuss kaum über die weiße Linie geschafft. Heißt: Kaum einer nutzt sie. Weniger als ein Prozent der Versicherten hat die ePA installiert und im ersten Halbjahr 2023 wurden nicht einmal ein Prozent aller Rezepte digital ausgestellt. Woran liegt das?
Am besten beantworten lässt sich die Frage mit einem Positivbeispiel, wie erfolgreiche Digitalisierung im Gesundheitswesen aussieht. Seit diesem Jahr können Heil- und Kostenpläne vom Zahnarzt digital an die Krankenkassen übermittelt werden. Während der Patient noch auf dem Zahnarztstuhl sitzt, bekommt er nun bereits die Unterlagen für seinen Zahnersatz. Eine Win-Win-Win-Situation für Patientinnen und Patienten, Zahnärzte und Krankenkassen.
Das ist deutlich schneller und komfortabler als der analoge Prozess. Deshalb hat er sich geräuschlos innerhalb weniger Monate in den Zahnarztpraxen als Standard etabliert. Das zeigt: digitale Prozesse setzen sich durch, wenn sie für alle Beteiligten Vorteile bringen. Und genau an diesem neuralgischen Punkt – dem Nutzen – setzt das Digital-Gesetz den Hebel an und schafft in vielen wichtigen Punkten die Praxistauglichkeit, die bislang noch fehlt:
Elektronische Patientenakte
Die Digitalstrategie der Bundesregierung hat ein starkes Ziel für die Akte definiert: Bis 2025 sollen 80 Prozent der Versicherten die ePA nutzen. Damit die Akte künftig bei jedem Arztbesuch selbstverständlich im Einsatz ist, muss sie für Patientinnen und Ärzte praktisch sein, sie muss einen Mehrwert bringen. Das kann sie nur, wenn sie mit Behandlungsdaten gefüllt ist.
Deshalb ist es wichtig, dass nun im Digital-Gesetz verankert ist, dass Patientinnen und Patienten ihre Daten beim Arztbesuch automatisch in die Akte geladen bekommen. Die geplante Medikationsliste schafft hier einen entscheidenden Mehrwert, denn sie verwirklicht, was bereits vor 20 Jahren die Motivation für eine elektronische Akte war: eine vollständige Übersicht über alle verordneten Medikamente einer Patientin beziehungsweise eines Patienten.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Einführung des Opt-outs. Für Patientinnen und Patienten ist der bisherige Prozess zur Anlage einer Akte mühsam und wenig nutzerfreundlich. Mit der Widerspruchslösung werden die Hürden für die ePA gesenkt. Positive Beispiele aus Nachbarländern zeigen, dass mehr Menschen digitale Lösungen nutzen, wenn der Zugang so einfach wie möglich ist. Wichtig wäre, dass hier auch noch das Einloggen vereinfacht wird und dies – wie bei anderen Apps selbstverständlich – per Identifikation mit biometrischen Merkmalen möglich wird. Auch für die Ärztinnen und Ärzte muss die Akte schnell und komfortabel zu befüllen sein. Die ePA darf nicht zum Zeitfresser in der Arztpraxis werden. Hier sind die Softwarehersteller gefragt, die Akte so zu integrieren, dass sie sich nahtlos in die Praxisabläufe einfügt.
E-Rezept
Der einfache Zugang ist auch das wichtigste Stichwort für das E-Rezept. Wirklich digital ist ein Rezept erst, wenn Versicherte keinen ausgedruckten QR-Code mehr benötigen und das Rezept auch unabhängig von der elektronischen Gesundheitskarte funktioniert. Der einzige volldigitale Weg beim E-Rezept ist eine Einlösung per App. Mit dem Gesetz kann die E-Rezept-App nun auch in die Apps der Krankenkassen integriert werden, was für viele Versicherte deutlich komfortabler ist als die bisherigen Lösungen, da sie die App in der Regel bereits auf dem Smartphone haben.
Apps auf Rezept
Bislang können nur Gesundheits-Apps mit niedriger Risikoklasse von Ärztinnen und Ärzten verschrieben werden. Damit sich aber Apps als versorgungsrelevante Säule im System etablieren, müssen auch Anwendungen mit tiefergreifenden Funktionen zugelassen werden. Daher ist es nur ein konsequenter Schritt, dass nun auch Anwendungen höherer Risikoklassen zugelassen werden.
Entscheidend ist, dass diese Apps von Beginn an ihren Nutzen belegen müssen. In der Vergangenheit gab es Fälle, in denen Apps 15 Monate von den Krankenkassen erstattet wurden, obwohl sie ihren Nutzen nicht belegen konnten. Allein der TK ist so ein Schaden von mehreren Millionen Euro entstanden. Hier setzt das Gesetz bei den Apps höherer Risikoklassen immerhin die Stellschraube an. Wichtig ist, dass nur Anwendungen von der Solidargemeinschaft bezahlt werden, die bereits zu Zulassungsbeginn ihre Wirksamkeit belegen können. In diesem Zusammenhang ist es auch ein richtiger Schritt, dass Versicherte künftig ein Widerrufsrecht bekommen.
Telemedizin
Corona hat gezeigt, dass Video-Sprechstunden die Behandlung in Präsenz sinnvoll ergänzen. Patientinnen und Patienten sind aus anderen Bereichen gewohnt, dass alles online erledigt werden kann. Deshalb ist es wichtig, dass auch in der Arztpraxis die Online-Behandlung zum Standard-Prozess wird. Ob ein Patient persönlich in der Arztpraxis erscheint oder per sich per Videokonferenz zum Arzt schaltet, muss am individuellen Behandlungsfall entschieden werden und darf nicht danach bemessen werden, ob der Arzt noch „Online-Budget“ hat.