Video-Sprechstunden boomen: Wurden im vierten Quartal 2019 bundesweit gerade einmal 23 Versicherte der Techniker Krankenkasse (TK) ausschließlich per Fernbehandlung von ihrem Arzt behandelt, waren es im zweiten Quartal 2020 schon rund 19.700. Ein zeitlicher Zusammenhang zur Corona-Pandemie liegt nahe. Doch was müssen Ärzte in einer Video-Sprechstunde besonders beachten? Prof. Dr. Urban Sester, als Internist in der Transplantationsmedizin am Uniklinikum im saarländischen Homburg tätig, erklärt das so: „Während man bei einem persönlichen Kontakt direkt die Körperhaltung, den Gang und weitere Eindrücke vermittelt bekommt, muss man bei der Fernbehandlung viele Situationen selbst anstoßen, gerade was Bewegungen angeht.“ Dadurch werde die verbale Kommunikation noch einmal wichtiger.
Training seit 2007 sehr beliebt
Als Referent des Wahlpflichtfachs Homburger Kommunikations- und Interaktionstrainings, kurz HOM-KIT, setzt Sester sich mit seinen Kollegen dafür ein, dass Medizinstudentinnen und -studenten an der Homburger Universität schon im Studium den richtigen Umgang mit den Patienten lernen. In den themenbezogenen Kursen „Lass uns das klären“, „Bad News“, „Schmerz lass nach“, „Let’s talk about sex“ und neuerdings auch der Video-Sprechstunde simulieren die Studierenden mit professionellen Schauspielern einen Arzt-Patienten-Kontakt. Das komme seit der Einführung im Jahr 2007 richtig gut an, betont Diplompsychologe Roberto D’Amelio, der das Programm gemeinsam mit der mittlerweile verstorbenen Ärztin Dr. Gabriele Wevers-Donauer entwickelt hat. „Obwohl die Kurse auch samstags stattfinden, haben wir meist doppelt so viele Anfragen wie Plätze. Die Evaluation zeigt, die Studierenden sind zufrieden und sehen das Training als wichtigen Baustein für ihre berufliche Zukunft“, erklärt D’Amelio.
Dass seit dem Sommer 2020 auch das Format Video-Sprechstunden geschult wird, hängt mit den Einschränkungen der Corona-Pandemie zusammen. „Es war plötzlich keine Präsenzlehre mehr möglich und in der digitalen Lehre kann man nicht alles abdecken“, blickt Sester zurück und ergänzt: „Wir haben dann aber schnell festgestellt, dass wir das digitale Gespräch dank unserer flexiblen und gut ausgebildeten Schauspieler gerade gut schulen können.“ Das kam so gut an, dass das Fernbehandlungs-Training dauerhaft in HOM-KIT integriert wurde.
Qualität der Schauspieler entscheidend
„Momentan bieten noch nicht alle Unis in einem solchen Umfang praxisbezogene Trainings zur Kommunikation an“, erklärt Fabio Lizzi, Studienbeauftragter der medizinischen Fakultät am Universitätsklinikum des Saarlandes, und ergänzt: „Das Video-Training könnte sogar ein Alleinstellungsmerkmal sein.“ Aus seiner Sicht spielt dabei vor allem die Qualität der Schauspieler eine entscheidende Rolle. Daher suche man über die Zentrale Künstlervermittlung gezielt nach Profis.
Der Aufwand scheint sich zu lohnen: Mittlerweile wird das Modul Video-Sprechstunde auch in der ärztlichen Fortbildung eingesetzt. Neben einer Veranstaltung für die Ärztekammer des Saarlandes wurde das Homburger Team erst kürzlich vom Kompetenzzentrum Weiterbildung Allgemeinmedizin Sachsen in Dresden gebucht – zugeschaltet per Video. Der Bedarf ist also auch bei bereits praktizierenden Ärztinnen und Ärzten da.
Ein Schritt zur Stärkung der sprechenden Medizin
Aus Sicht der TK ist das Training ein wichtiger Schritt zur Stärkung der sprechenden Medizin. Denn wenn Arzt und Patient gemeinsam über die medizinische Behandlung entscheiden, verbessert das die Therapietreue, den Behandlungserfolg und die Patientenzufriedenheit. Dafür brauchen die Ärztinnen und Ärzte aber eine hohe Gesprächskompetenz. Sester: „In vielen, wenn auch nicht allen, Bereichen der Medizin ist die sprechende Medizin enorm wichtig. Denn so kann ich als Arzt an viele Informationen kommen, die im Behandlungsverlauf eine entscheidende Rolle spielen könnten.“