Christopher Conze

Forum Versorgung: Intelligente Lösungen für ein innovatives Gesundheitswesen

Auf dem diesjährigen Forum Versorgung diskutierten Experten aus dem Gesundheitswesen und der Politik unter dem Motto #SmartHealth intelligente Lösungen für ein innovatives Gesundheitswesen.

#SmartHealth war der Titel der Veranstaltung. Dennoch: Nach Auffassung von Professor Josef Hecken, dem unparteiischen Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), befindet sich die gesetzliche Krankenversicherung noch in der Steinzeit. Am 14. September 2016 setzte er den rund 90 Teilnehmern des Forums auseinander, dass Blockaden gegen den Einsatz der digitalen Möglichkeiten aufgelöst werden müssten, um eine patientengerechte, moderne Versorgung jetzt und erst recht in der Zukunft sicherzustellen.
Es sei deshalb zu begrüßen, dass ein Drittel aller Anträge auf Förderung durch den Innovationsfonds auf das Themenfeld 3 – Versorgungsmodelle unter Nutzung von Telemedizin, Telematik und E-Health – entfielen. Auch in den anderen Themenfelder enthielten die eingereichten Projektkonzepte häufig digitale Lösungen.

Unter den Gästen der Konferenz befand sich eine Reihe von Kooperationspartnern innovativer  Versorgungsformen sowie Startups, die am Vortag bereits intensiv gemeinsam mit Versorgungsexperten der TK beim Innovationstag an der Entwicklung intelligenter Lösungen für das Gesundheitswesen gearbeitet hatten. Insbesondere an diese richtete Hecken sich mit seinen Empfehlungen, das Instrument des Innovationsfonds unbedingt zu nutzen, um gute Ideen auf den Weg in die Regelversorgung zu bringen.

Der G-BA will auf Basis der aktuellen Erfahrungen das anspruchsvolle Antragsverfahren künftig durch bessere Beratung der Antragsteller erleichtern und auch die Informationen auf der Website auf Ihre Verständlichkeit hin überprüfen. Ein plausibler, nachvollziehbarer Ausblick auf einen nach Projektende auch messbaren Nutzen für die solidarische Krankenversicherung bleibe aber Kernanforderung für den Zugang zu Mitteln aus dem Fonds.

Der Muff in den Talaren des Gesundheitswesen

Initiator und Gastgeber Thomas Ballast, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der TK, führte anhand von vier Thesen aus, wie mithilfe der Digitalisierung eine intelligente Zukunft des Gesundheitswesens möglich werden soll.

Mit Bezug auf die Revolution in den Wissenschaften Ende der 1960er-Jahre lautete die erste These, dass die Digitalisierung den Muff aus den Talaren des Gesundheitswesens holen wird. Eine bessere Versorgung, die Teilhabe am medizinischen Fortschritt, ein effizienteres Gesundheitssystem durch reduzierte Doppelstrukturen und -untersuchungen, mehr Transparenz sowie ein reibungslosere Informationsfluss zwischen den Akteuren auch über Sektorengrenzen hinweg, sind Ziele, die bereits mit der Integrierten Versorgung angestrebt wurden. Mithilfe der digitalen Möglichkeiten aber könnten diese tatsächlich erreicht werden. Die Geschwindigkeit bei der Zulassung digitaler Lösungen für den ersten Gesundheitsmarkt sei wichtig, Maßstab sei aber die angemessene Balance zwischen der Sicherheit der Patienten und dem Potenzial einer besseren Versorgung. Das Medizinproduktegesetz könne – adaptiert auf digitale Versorgungsprodukte – ein sinnvoller Rahmen sein.

Einen konkreten Vorschlag liefert die im Auftrag der TK durchgeführte Studie des IGES Instituts „Digitale Produkte in der Gesundheitsversorgung – Innovation und Sicherheit ermöglichen“, die am Vormittag des 14. September den Medien vorgestellt wurde. Danach soll es für digitale Lösungen eine eigene Klassifikation geben, die sich nach den potenziellen Gesundheitsrisiken richtet. Einem mit dem Grad der Individualisierung von Informationen und mit dem Übergang von der Darstellung von Daten zur Ableitung von Empfehlungen unterschiedlich zu bewertendes Risiko-Level einer Applikation soll ein entsprechend einfacheres bzw. aufwändigeres Zulassungsverfahren gegenübergestellt werden.

Digitale Produkte ermöglichen Patientensouveränität

Der Computer kann der bessere Arzt sein, so die dritte These des TK-Vorstands. Auch wenn der Arzt und der persönliche Kontakt zum Patienten nicht ersetzbar seien, so gebe es digitale Möglichkeiten, die ein Mensch so nicht hat. Ein Beispiel sei Watson von der Firma IBM – ein System, das in der Lage ist, medizinisches Wissen mit Patientendaten zu verbinden und die Ergebnisse Ärzten und Patienten schnell und umfassend für ihre Therapieentscheidungen zur Verfügung stellen kann. Ein anderes Beispiel sei Tinnitracks, die App für ein besseres Versorgungsmanagement von Tinnitus-Patienten, für die es bislang keine konventionelle wirksame Standardtherapie gibt. Laut der vierten These soll Schluss sein mit dem Gerede über Patientensouveränität, denn die Digitalisierung bringe sie endlich.

Digitale Produkte erleichtern den Zugang zu Informationen und Gesundheitsdaten für Patienten, diese entwickeln sich damit vom passiven Empfänger von Diagnosen zum aktiven Beteiligten im Behandlungsprozess. Selbstverständlich erfordere das einen verantwortlichen Umgang mit den eigenen Daten. Die aktuelle #SmartHealth-Studie der TK aber zeigt: Patienten sind sich dessen bewusst und wollen selbst über ihre Daten bestimmen. Aufgabe der Kassen ist es, die dabei zu unterstützen.
Im Anschluss an die beiden Vorträge hatten die Teilnehmer Gelegenheit, mit Professor Hecken, Thomas Ballast sowie Dr. Karsten Neumann von IGES Institut und dem Bundestagsabgeordneten Tino Sorge direkt in den Dialog zu gehen. Unterstützt von vier TK-Kolleginnen und Kollegen wurden folgende Fragestellungen diskutiert:

  • Die Bürger verbinden konkrete Erwartungen an eine Digitalisierung im Gesundheitswesen. Welche sind das und wie können wir diese aufgreifen?
  • Marktdynamik versus Regulierung – Wie kann die digitale Entwicklung schneller Zugang in die GKV finden?
  • Machen Apps auch richtige Medizin? Wo kann Digitalisierung einen echten Beitrag in der medizinischen Versorgung leisten?
  • Wie viel Eigenverantwortung braucht es? Müssen wir den Patienten im Rahmen der Digitalisierung vor sich selbst schützen?
KL_KDG9932
Angeregte Diskussion im Open Space-Workshop

 Machen Apps echte Medizin?

Moderiert von TK-Pressesprecherin Dorothee Meusch griffen Sorge, Hecken, Neumann und Ballast im Panel die Fragen und Forderungen der Forumsteilnehmer auf. Es sei Aufgabe der Politik, Partikularinteressen zu bündeln und bei Blockaden gegen digitale Transparenz durchzusteuern, sagte Tino Sorge. Dr. Karsten Neumann bejahte die Frage, ob Apps echte Medizin machen zumindest für die Zukunft. Denn: Es gebe künftig Quellen wie Smartphones, Wearables, Sensoren im SmartHome, die permanent Daten liefern – ein Beispiel sei das Diabetespflaster. Diese lieferten eine Grundlage für die medizinische Versorgung, die es bislang so nicht gebe.

Zur Frage, wer für die Zulassung digitaler Produkte zuständig sei, sagte Neumann, dies könne das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfAM) sein, man müsse aber bedenken, dass es ein anderes Know-how braucht, einen Herzschrittmacher auf störungsfreien Betrieb zu testen oder eine App auf ihre Wirksamkeit, bei Depressionen zu helfen.

Zum (eigen-)verantwortlichen Umgang mit Daten führte Thomas Ballast aus, dass die Bundesbeauftragte für Datenschutz nun eine eigene Bundesbehörde und nicht mehr dem Bundesinnenministerium nachgeordnet sei. Angesichts dessen, dass immer mehr Menschen digitale Datenspuren hinterlassen, gilt es Lösungen zu finden. Tino Sorge geht davon aus, dass die Digitalisierung in den nächsten Koalitionsvertrag aufgenommen wird, denn alle Parteien seien sich über die Chancen dieser Entwicklung einig. Dennoch sei es nicht einfach, den Weg dahin zu finden, entspannter auch mit dem Thema Daten umzugehen.

Zum Thema Fernbehandlung ergänzte Hecken seine Einschätzung, dass man Risiken mindern könne, wenn Arzt und Patient sich digital unterstützt irgendwie ins Auge blicken könnten. Durch weitere Fragen aus dem Plenum gab es dann noch einen weiteren Diskussionspunkt für das Expertenpanel – hier ging es darum, wie digitale Lösungen Abhilfe schaffen könnten für die Probleme in der Pflege – sei es der Pflegeberufe, der pflegenden Angehörigen oder der Pflegebedürftigen selbst. Hier müssen noch zusätzliche Anstrengungen unternommen werden, da die im SGB XI geregelte pflegerische Versorgung anderen Voraussetzungen unterliegt als die medizinische Versorgung des SGB V. Sorge wie auch Hecken riefen dazu auf, diese Anstrengung zu unternehmen, und Thomas Ballast informierte über das Projekt NetzWerk GesundAktiv, für das die TK zusammen mit Partnern eine Förderung durch den Innovationsfonds beantragt habe, in dem es genau darum gehe, digitale Antworten auf den demografischen Wandel zu finden.

MdB Tino Sorge brachte die politische Perspektive ein

Lob für das Open Space-Format

Zum Abschluss des Forums lobte Tino Sorge in seinem Statement das Open Space-Format des Innovationstages und die Möglichkeit des direkten Dialogs auch auf dem Forum Versorgung. In Richtung der Startups sagte er, dass diese selbstverständlich nicht nur über Ideen sprechen wollten, sondern damit auch etwas verdienen können. Hier müsse man schauen, wie man dafür die Situation  Schritt für Schritt herstellen kann – anders als in einem jungen Gründerunternehmen könne man in der Politik eben nicht einfach tun, wovon man überzeugt ist, sondern müsse immer wieder Mehrheiten finden. Deswegen freue er sich, auf eine aktuelle Entscheidung im Kabinett zu verweisen, die eine Übernahme von Verlustvorträgen aus Startups für Investoren ermöglicht und Investitionen in gute Ideen ein wenig leichter machen soll.



Lesen Sie hier weiter

Laura Hassinger Laura Hassinger
Thomas Ballast Thomas Ballast
Julia Abb Julia Abb

Kommentieren Sie diesen Artikel

Lädt. Bitte warten...

Der Kommentar konnte nicht gespeichert werden. Bitte überprüfen Sie Ihre Eingaben.